„Aids hätte ich mir sparen können!“
Maik verdrängte sein HIV-Risiko – aus Angst vor den Folgen einer HIV-Infektion. Trotz dramatischer Symptome bot ihm kein Arzt einen HIV-Test an. Die Wende kam erst, als es fast zu spät war.
Im Nachhinein kann Maik seine Geschichte selbst kaum glauben. „Ich habe unwahrscheinliches Glück gehabt“, sagt er.
Der 43-Jährige Diplom-Ingenieur und Testfahrer sitzt in seinem Mini Sport und berichtet von der Phase seines Lebens vor neun Jahren, als er fast gestorben wäre.
Äußerlich ein strammer Bayer mit Lederhosen und Trainingsjacke, spricht Maik bedächtig und mit leiser Stimme: „Damals hätte ich nicht gedacht, dass ich noch mal Auto fahren würde. Dass die Medikamente überhaupt noch gewirkt haben, grenzt an ein Wunder.“
Maik hat damals eine Odyssee hinter sich. Dreißig Kilo Gewichtsverlust, Dauerdurchfall, Mund und Rachenraum befallen von einer schweren Pilzinfektion. Die Ärzte haben an ihm herumtherapiert, nichts hat geholfen. Mehr als ein Jahr ist niemand auf die Idee gekommen, ihm einen HIV-Test anzubieten.
Maik weiß natürlich: Als schwuler Mann hat er ein erhöhtes Risiko. Aber er denkt lieber nicht daran. Gerade will er beruflich richtig durchstarten, steht vor einem Karrieresprung. Zu groß ist die Angst, mit HIV könnte sein Leben vorbei sein.
„Ich hatte noch die alten Bilder von Aids im Kopf“, sagt Maik heute. „Und ich hatte Angst, dass ich abgestempelt wäre, wenn ich HIV hätte.“
Also verdrängt Maik sein HIV-Risiko. Sein letzter Test zehn Jahre zuvor war negativ. Seitdem hat er fast nur Safer Sex gemacht. Es wird schon nichts passiert sein.
Selbst als die Aids-Symptome unübersehbar sind, kommen Maiks Ärzte nicht auf die Idee, dass HIV dahinter stecken könnte. Auch Maik sagt nichts. Zu groß ist die Angst.
„Natürlich bin ich auch für mich selbst verantwortlich“, betont Maik. „Aber ich hätte damals einen Anstoß von außen gebraucht.“
Doch Maiks Hausarzt, selbst schwul, schickt ihn mit Lutschpastillen gegen die Pilzinfektion im Rachenraum nach Hause. Für Maik ein Beleg mehr dafür, dass es nicht um HIV gehen kann. Die Untätigkeit der Ärzte wird Teil von Maiks Verdrängungsstrategie.
Bis es fast zu spät ist. Ein Magen-Darm-Spezialist hat endlich den Mut, Maik auf HIV anzusprechen. Ein Bluttest ergibt: Er ist HIV-positiv. Es sind keine Helferzellen mehr nachweisbar, dafür Millionen Viren in jedem Milliliter Blut. Maiks Immunsystem ist praktisch nicht mehr vorhanden.
Maik ist in diesem Moment sogar erleichtert: Endlich ist klar, was ihn krank macht. Zugleich ist er wütend auf sich selbst: „Ich dachte: Jetzt sterbe ich, weil ich nicht den Mut zum HIV-Test hatte.“
Maik entschließt sich, seine letzten Tage zu Hause zu verbringen. Die Ärzte machen ihm wenig Hoffnung. Seinen damaligen Lebensgefährten stellte er vor die Wahl: Du kannst gehen, oder bleiben, bis ich tot bin.
Der Freund bleibt und sorgt dafür, dass der schwer kranke Maik zu Hause gepflegt wird. Sechs Wochen später kann Maik wieder arbeiten.
Heute lebt Maik ein „ganz normales Leben“ mit eingetragener Partnerschaft und Freunden, mit 40-Stunden Woche und Sport.
„Ich habe unwahrscheinliches Glück gehabt, dass nichts zurückgeblieben ist“, sagt Maik. „Ich hätte Hirnschäden bekommen können und mein Augenlicht verlieren.“
Dass er mit dem HIV-Test so lange gewartet hat, kann er heute kaum noch verstehen. „Ich wusste damals nicht, wie gut die Medikamente heute sind. Im Rückblick denke ich mir: Meine Aids-Erkrankung hätte ich mir wirklich sparen können.“