„Ein HIV-Test hätte mir viel erspart!“
Als bei Regina gar nichts mehr ging, tippte sie auf Burn-out. Wochenlang konnte die heute 58-Jährige nach ihrem Umzug vom Saarland nach Leipzig die Kartons nicht auspacken, so kraftlos war sie. Dass HIV dahinter stecken könnte, ahnte sie nicht einmal.
„Das kam mir überhaupt nicht in den Sinn. Ich war dreimal verheiratet, bin nie aus der Ehe ausgeschert, hatte drei gesunde Söhne bekommen. Wer denkt denn da an HIV?“, erinnert sich die forsche Frau, die lange als Buchhalterin gearbeitet hat.
„Ich war wirklich naiv!“, fügt sie hinzu.
Denn zu diesem Zeitpunkt hat Regina schon eine lange Leidensgeschichte hinter sich: Gürtelrose, Hirnhautentzündung, chronischer Durchfall über anderthalb Jahre. Warzen an den Füßen mussten operativ entfernt werden, weil Regina vor Schmerzen nicht mehr laufen konnte.
Und damit nicht genug: Sie hat bereits eine künstliche Hüfte bekommen und ist zweimal an der Wirbelsäule operiert worden. Ihr Gehirn ist geschädigt, sie hat Konzentrationsprobleme und Wortfindungsstörungen.
„Das Virus hat sich bei mir richtig ausgetobt“, sagt Regina lakonisch, „es ging bergab.“
Ein Arztmarathon mit unzähligen Untersuchungen bleibt ohne Ergebnis. Unzählige Male wird ihr Blut abgenommen, zig verschiedene Tests gemacht. Nur kein HIV-Test – obwohl die Symptome lehrbuchmäßig auf Aids hindeuteten.
„Auch Ärzte denken immer noch, HIV betrifft nur Schwule. Aber das stimmt eben nicht“, betont Regina.
Ihre Ärzte schreiben damals ihre vielfältigen Erkrankungen psychischen Schwierigkeiten zu und behandeln die Symptome. „Die haben mich nur in die Apotheke geschickt: Holen Sie sich was gegen Durchfall. Nach anderthalb Jahren!“
Im Sommer 2012 nimmt Regina das Ruder selbst in die Hand und geht zur Blutspende. „An HIV habe ich da immer noch nicht gedacht. Aber ich wusste, da werden zahlreiche Blutuntersuchungen gemacht.“
Der Weg wird nicht zur Nachahmung empfohlen. Doch für Regina bringt er des Rätsels Lösung. Als der Blutspendedienst anruft und sagt, sie müsse noch einmal wiederkommen, ahnt sie, was los ist.
Die Diagnose ist zunächst eine Katastrophe für sie. „Das war ein totaler Schock, so viel Adrenalin hat mein Körper noch nie ausgestoßen. Ich habe gedacht: Jetzt sterbe ich. Ich bin tot. Der Arzt hat mir dann zum Glück gleich gesagt: Nein, das ist Quatsch, so ist das nicht mehr, die Medikamente sind sehr gut geworden.“
Infiziert hat sich Regina wahrscheinlich bei einem ihrer Ehemänner. Genau weiß sie es nicht und es spielt für sie auch keine Rolle: „Was soll ich mit dem Wissen anfangen? Für Vorwürfe habe ich keine Zeit.“
Die hat sie wirklich nicht. Kurz nach ihrer Diagnose hat sie angefangen HIV-Medikamente zu nehmen und es ging ihr rasch besser. Heute führt Regina wieder ein ausgefülltes Leben: Sie erledigt die Buchhaltung für ihren Ex-Mann, der Holz nach Deutschland importiert, veranstaltet Verkaufspartys für Duftlampen und unterstützt ihre Eltern bei alltäglichen Erledigungen.
Und sie kümmert sich um ihre beiden Hunde, die Möpse Happy und Henry. „Die retten mir jeden Tag das Leben, weil sie dafür sorgen, dass ich bei jedem Wetter vor die Tür komme“, sagt Regina und lacht.
Mit welchen Gefühlen schaut sie heute zurück auf ihre Geschichte?
„Rückblickend finde ich es schade, dass ich erst so spät von HIV erfahren habe. Einige Schäden bleiben, mein Kopf wird nicht wieder völlig in Ordnung kommen. Aber damit komme ich klar, man kann es halt nicht ändern. Es wäre nur gut, wenn das anderen Menschen erspart bliebe!“